ist die Zeit gerade oder gebogen

Katalog  „ist die Zeit gerade oder gebogen“  Malerei 2005 – 2007

 

Katalog  „ist die Zeit gerade oder gebogen“  Malerei 2005 – 2007

 

Georg Vinokic ist als Maler Autodidakt. Er nimmt sich die Freiheit, modischen Strömungen zu entsagen, stilistische Einordnungen würde er nur als Beengung empfinden. In seinen Bildern finden sich abstrakte Elemente ebenso wie figurative. Das WIE steht jedoch nie im Vordergrund, vielmehr determiniert das Sujet die Ausdrucksweise. Sein Personalstil ist von Beginn an klar erkennbar: der expressive Gestus seiner Bilder, die traumwandlerische Sicherheit in der Farbkombination und Motive, die immer wiederkehren: Arabesken, Gitter- und Zickzacklinien einerseits, sowie solche, die auf seine Heimat und seine große Leidenschaft das Fischen hinweisen, andererseits.

Zum Malen kam Vinokic aus Gründen, die sein Leben nachhaltig prägten: der Krieg in Ex-Jugoslawien, seine Emigration und alles, was damit einherging. Seine Malerei ist deshalb immer – das ist ein augenfälliges Merkmal seiner Kunst – sehr persönlich geprägt.

Zu Beginn seiner Tätigkeit ist es vor allem Verlust, den er in den Zyklen Felder und Ballone, Melonen und zum Teil im Zyklus 6 thematisiert: der Verlust von Heimat, Familie und Sprache. Er tut dies, indem er Bilder, Symbole seiner Heimat in den Mittelpunkt seiner Werke stellt: die weiten Felder der pannonischen Tiefebene und das Meer, die Maulbeerbäume und Melonen, darüber hinaus die vom jugendlichen Vinokic bewunderten Heißluftballone, die der Flachheit entkommen und die Heimat aus der Vogelperspektive, also im Ganzen, betrachten können.

Immer mehr zeigt sich danach auch der politische Mensch, der Mensch, dessen Gedanken zu Konsumgesellschaft und Krieg sich, oftmals zynisch verzerrt und skurril kommentiert, in den Bildern des Zyklus 6 niederschlagen. Der Rat eines Malerfreundes bringt Vinokic in dieser Phase des unbedingten inhaltlichen Ausdruckswillens zum Umdenken: Er solle sich nicht durch das blockieren, was er erzählen wolle.

So entscheidet er sich dazu, die Zyklen Lilly und Bird zu malen. Auch hier bleibt Vinokic zutiefst persönlich. Der Entstehungsprozess seiner Bilder ist nun jedoch stärker intuitiv, der Zugang emotional, ein Ansatz, den er vor allem in seinem bislang letzten Zyklus Zwei Hrober noch intensiviert und auf die Spitze treibt.

Den Hintergrund dieses Zyklus bildet die Freundschaft Georg Vinokics zum Komponisten Bernhard Gander, der im Jahr 2000 sein Stück der Melonenbaum ausgehend vom gleichnamigen Bild Vinokics, das heute wie damals in Ganders Wiener Wohnung hängt, komponierte. »Ich hatte nie zuvor Ähnliches
gehört und irgendwie klang das alles für mich wie ›Wahnsinn im Chaos‹. Auf der einen Seite, verbunden durch Generationsnähe, kämpferischen Geist, künstlerische Haltung … fand ich, dass in Ganders Werk etwas Einzigartiges steckt. Doch vom Gefühl her war mir klar, dass ich noch nicht bereit war, mich dieser Musik zu öffnen«, erinnert sich Vinokic an seinen ersten Höreindruck. Dennoch war dieses Stück die Initialzündung für eine intensive Auseinandersetzung Georg Vinokics mit der Musik seines Freundes, aus der fünf Jahre später schließlich das Bild Nachtnetz entstand. Es ist dies das erste Gemälde aus ist die zeit gerade oder gebogen, einer Serie von Bildern, die sich auf eine frühe gleichnamige Komposition Bernhard Ganders beziehen und nach der der vorliegende Katalog benannt ist.

Die Bilder sind nun keinesfalls der Versuch einer Übersetzung des Gehörten in ein anderes Medium, sondern vielmehr Reaktionen auf das, was Vinokic während des Hörens der Musik perzipiert. Das Wahrgenommene wird reflektiert und in Vinokics persönlicher, emotionaler Sichtweise zur Leinwand gebracht.
Das Ausgangsmaterial der beiden Schwesterkünste könnte unterschiedlicher kaum sein. Während das Material der KomponistInnen abstrakt ist und erst über den Umweg einer Aufführung einen Höreindruck und damit eine sekundäre Gegenständlichkeit in Form von Assoziationen an konkrete Geräusche der Umwelt erzeugen kann, ist das der bildenden KünstlerInnen von Beginn an optisch und haptisch fassbar und erfüllt somit die rezeptiven Bedingungen der Kunstsparte von vornherein. Darüber hinaus ist die Musik eine sich in der Zeit entfaltende Kunst, während die Malerei den Raum als ihr Medium definiert. Strukturelle Analogiebildungen von Malerei mit Musik bedingen daher notwendigerweise der Transformierung einer sich in der Zeit entfaltenden Idee in ein räumliches Element.

Dennoch steht Georg Vinokic in einer langen Reihe von Malern und Komponisten, die maßgeblich von ästhetischen Konzepten oder einzelnen Werken der jeweiligen Schwesterkunst inspiriert wurden. Dies ist kein Zufall, sind doch beide Künste in hohem Maß sinnliche Künste und neigen zur Stilisierung, während die Literatur letztlich auf den Mitteilungsgehalt der Sprache angewiesen ist. Das WIE überdeckt in Musik und Malerei das WAS, in der abstrakten Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts, in der Struktur, Material und Gestaltung durch die Überwindung der gegenständlichen Darstellung noch stärker in den Mittelpunkt rücken, verschmelzen die beiden Aspekte nicht selten miteinander.

Georg Vinokic hört Ganders Musik, bevor er beginnt, selbst schöpferisch tätig zu werden. Dabei stellen sich bei ihm teils synästhetische Wahrnehmungen ein: »Das erste Mal war ein Teich, wobei ich das Wasser und die feuchte Luft gespürt und gerochen habe. Ich habe alle Düfte und Farben erlebt.« Diese Wahrnehmungen bringt er sodann in schwarzweiß – Skizzen zu Papier. Erst nach einer weiteren Phase des genauen Studierens und Betrachtens der eigenen Skizzen folgt der eigentliche, sehr impulsive Malprozess, in dem er spontan über Farbgebung, Struktur und Rhythmus entscheidet.
So intuitiv und emotional dieser Zugang auch sein mag, finden sich doch einige strukturelle Ähnlichkeiten in den Werken der beiden Künstler, die hier kurz dargestellt werden sollen.

Ein augenfälliges, sich durch die gesamte Bilderserie ziehendes Element, ist Wasser mit all seinen Assoziationen. Es spiegelt sich in den Titeln der Bilder ebenso wider wie im Sujet, wo bisweilen Fische, Angelruten und schillernde Wasseroberflächen auszumachen sind. Assoziationen zu Wellen weist auch der zweite Satz von Ganders Komposition auf. Besonders augenfällig ist dies in den Skizzen des Komponisten, wo die strukturbildenden Elemente des Satzes – kontinuierliche accelerandi und rallentandi – als sich überlappende Wellenlinien dargestellt sind.

Ein wesentliches strukturbildendes Element vieler Bilder Vinokics ist eine Zickzacklinie, die in verblüffend ähnlicher Form ebenfalls in Skizzen Ganders erkennbar ist.

Arabesken verweisen auf den statischen, sich ins Unendliche zu dehnen scheinenden Klang des ersten und auch dritten Satzes in ist die zeit gerade oder gebogen, während abschließend auch die häufige Verwendung von vier Elementen im Vordergrund nicht unerwähnt bleiben soll, die die Besetzung des Saxophonquartetts widerspiegelt.

Eine Auswahl von Bildern aus der Serie ist die Zeit gerade oder gebogen können Sie in diesem Katalog sehen.

Axel Petri-Preis